Doris Bischof-Koehler Publikationen

Soziale Entwicklung in Kindheit und Jugend

Soziale Entwicklung in Kindheit und Jugend: Vorwort

Der Stil, in dem sich das vorliegende Buch dem Thema der sozialen Entwicklung zuwendet, fällt etwas aus dem gewohnten Rahmen. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist die Frage, wie sich motivationale Entwicklungsschritte auf die Kognition auswirken, und umgekehrt, welche Rückwirkungen kognitive Neuerwerbe auf das emotionale Erleben und das soziale Verhalten haben. Phylogenetische Überlegungen und tiervergleichende Betrachtungen bilden dabei den Bezugsrahmen. Wir beziehen uns bei der Darstellung zunächst auf Forschungsbereiche, die wir selbst untersucht haben, und ordnen das dann in den Kontext der Erkenntnisse und offenen Fragen ein, die zurzeit in der Scientific Community diskutiert werden.

Die zweite Auflage dieses Buches ist in Koautorschaft entstanden. Aus der von Doris Bischof-Köhler verfassten Erstauflage stammen der theoretische Rahmen sowie die initialen Studien zu Empathie, zur Theory of Mind, zum Zeitverständnis und dem innerfamiliären Strukturwandel während der sogenannten ödipalen Phase; sie wurden nicht wesentlich verändert. Norbert Zmyj hat Anfang der Nullerjahre in München als Student am abschließenden empirischen Projekt dieses Forschungsprogramms mitgearbeitet. In seiner darauffolgenden akademischen Laufbahn verwendete er die Erstauflage regelmäßig in Lehrveranstaltungen und viele seiner Forschungsprojekte sind durch die Fragen, die in diesem Buch aufgeworfen wurden, mitgeprägt. Über die Jahre hinweg blieben beide Autoren in einem regelmäßigen Austausch über aktuelle Forschungsarbeiten im gemeinsamen Problemfeld. Im Sinne einer kontinuierlichen Aktualisierung lag es also nahe, die zweite Auflage gemeinsam zu erarbeiten.

Der Erstauflage dieses Buches lagen Untersuchungen zugrunde, die an der Universität Zürich durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfond gefördert wurden. Sie hatten in mehrfacher Hinsicht Neuland betreten. Mitte der 1980er Jahre gab es außer einer Studie von Carolyn Zahn-Waxler wenig methodisch befriedigende Studien zur Empathie bei Kleinkindern. Es galt also zunächst einmal, ein möglichst naturalistisches und gleichwohl kontrolliertes Versuchsdesign zu entwickeln, ohne jedoch einer derzeit herrschenden Tendenz zu verfallen, den letzteren Aspekt auf Kosten des ersteren überzubetonen. Was dabei besonders interessierte, war der Zusammenhang von Empathie und Selbsterkennen, wobei die Arbeitshypothese war, dass beide auf einen gemeinsamen Mechanismus zugreifen.

Eine anspruchsvollere Weise, den anderen und sein Seelenleben zu verstehen, ist die Theory of Mind (ToM). Sie wird fälschlicherweise nicht selten mit Empathie gleichgesetzt. Während bei dieser jedoch das Verständnis des Anderen immer auf emotionalem Mitempfinden beruht, ist die ToM rein rational. Das Verständnis beruht, kurz gesagt, bei ihr darauf, dass man sich vorstellen kann, was der Andere denkt, fühlt oder will, auch wenn das von der eigenen Erfahrung abweicht.

Die Konzepte Empathie und Theory of Mind werden in der Literatur bedauerlicherweise eher inflationär gebraucht. Inzwischen hat sich dazu eine Fülle empirischer Ergebnisse und zum Teil recht vage formulierter Theorien angesammelt, denen zufolge sogar 13 schon Babys eine ToM haben sollen. In Anbetracht dieses Sammelsuriums war es unumgänglich, eine kritische Evaluation vorzunehmen und theoretisch klar Stellung zu beziehen. Insbesondere ging es darum, verschieden komplexe Mechanismen voneinander abzugrenzen und die Rolle von Emotionen bei der Verhaltenssteuerung zu klären. Aufgrund evolutionstheoretischer Überlegungen interessierten uns in erster Linie die Auswirkungen der neu entstehenden Fähigkeiten auf Motivstruktur und -organisation. Konkret ging es um die spezifisch menschliche Strategie, zukünftige und vergangene Motive in der Gegenwart handlungsrelevant werden zu lassen, also gleichsam auf mentale Zeitreise zu gehen und die Zukunft unabhängig von der aktuellen Bedürfnislage zu planen. Dies wiederum setzt ein explizites Zeitverständnis voraus. Auch hierzu waren in ausgedehnten, bereits in Zürich grundgelegten Pilotversuchen kindgemäße Versuchsdesigns zu entwickeln und einzusetzen.

Im Unterschied zu der heute erkennbaren Tendenz, empirische Untersuchungen auf separate, eng abgrenzbare Themenschwerpunkte zu fokussieren, war es das erklärte Ziel unserer Studien, Querverbindungen zwischen verschiedenen Themenfeldern herzustellen und das sinnvolle Zusammenspiel von thematisch teilweise weit auseinanderliegenden Mechanismen und Kompetenzen aufzudecken. Dabei waren begleitende Diskussionen mit Kollegen sehr anregend, unter denen wir hier stellvertretend vor allem David Premack, Hans Kummer, Beate Sodian und Josef Perner nennen möchten.

In München konnten wir unsere Forschung dank finanzieller Förderung durch die Köhler-Stiftung (Dr. Lotte Köhler) und die Heidehof Stiftung (Dr. Eva Madelung) weiterführen. Der Akzent lag nun auf affektiven Umbrüchen in der Eltern-Kind-Beziehung im fünften Lebensjahr, die Freud im Sinne seiner »ödipalen« Theorie gedeutet hat, die sich jedoch zwangloser als Auswirkung der in diesem Altersabschnitt einsetzenden kognitiven Veränderungen identifizieren lassen.

Unsere Projekte waren nicht ohne die engagierte und kreative Mitarbeit von Studierenden zustande gekommen, die in Form von Lizenziats-, Diplom- und Doktorarbeiten wertvolle Beiträge leisteten. Namentlich erwähnen möchten wir Oliver Andermatt, Bernhard Hauser, Stefan Hess, Marianne Schmid Mast, Gabriela Selva und Elwira Wolgensinger in Zürich sowie Eva-Maria Groh, Gregor Kappler, Annette Mangstl, Jörg Stuckenkemper und Nadja Seel in München. Außerdem danken wir Maximilian Schauerte für die Hilfe bei der Erstellung des Stichwortverzeichnisses, des Personenverzeichnisses und des Literaturverzeichnisses sowie für das Korrekturlesen. Frau Stefanie Reutter, Frau Kathrin Kastl und Herrn Dr. Ruprecht Poensgen vom Kohlhammer Verlag gilt unser Dank für die fruchtbare Zusammenarbeit.

Bernried und Dortmund, im Februar 2025
Doris Bischof-Köhler und Norbert Zmyj