Norbert Bischof Publikationen

Psychologie – Ein Grundkurs für Anspruchsvolle

Aus dem Vorwort

Warum schon wieder ein «Grundkurs»? Gibt es nicht längst genügend Einführungsliteratur in das Psychologiestudium? Stromlinienförmig aufbereitete, heiter illustrierte, die modernen Möglichkeiten des E-Learnings klug einbindende, Anfänger um keinen Preis überfordernde Lehrtexte, aus denen man sich trefflich auf die Multiple-Choice-Prüftechnik des Bologna-Zeitalters vorbereiten kann? Die Frage ist berechtigt.

Es ist üblich geworden, psychologische Lehrbücher nach den Kriterien «theoriezentriert» und «phänomenorientiert» einzuteilen. Der Trend geht eindeutig in die erstgenannte Richtung. Das hängt mit der zunehmenden Verschulung des akademischen Betriebes zusammen, angesichts derer wir uns gern einreden würden, es handle sich auch bei unserem Fach um einen Kanon abfragbarer Tatsachen und exakt formulierbarer Gesetze. Weil das aber einfach nicht stimmt, zieht man sich gern auf das Einzige zurück, wozu sich eindeutig richtige oder falsche Aussagen formulieren lassen – nämlich, welcher Autor was behauptet hat.

Daher die Beliebtheit «theoriezentrierter» Darstellungen. Aber das kann nicht genügen. Wir kommen nicht umhin, «phänomenorientiert» vorzugehen, und das heißt, uns auf die Sache selbst einzulassen. Theorien sind – mehr oder minder nützliche – Wegweiser zu diesem Ziel, sie sollen uns Sackgassen und Umwege vermeiden helfen; aber für sich genommen stellen sie keinen Erkenntniswert dar.

Was heißt also «Grundkurs»? Falsch wäre sicher, sich darunter eine Art Psychology for dummies vorzustellen; sie würde ihrem Namen wörtlicher gerecht, als es dem Autor lieb sein könnte. Ein «Grundkurs» kann aber auch das sein, was der Name eigentlich besagt: der Versuch, ein Fundament zu legen. Ein Fundament muss auf Trägern ruhen, die tief in die Materie hineingetrieben sind, damit es sich als stabil genug erweist, um darauf später das anwachsende Fachwissen aufbauen zu können. Ein solcher Grundkurs ist kein Repetitorium; er soll Kompetenz vermitteln, selbst mit den Problemen des Gegenstandsfeldes fertig zu werden. Und an diesen herrscht bei uns kein Mangel.

Wer sich auf Psychologie einlässt, sollte wissen, dass ihm ein anderes Abenteuer bevorsteht als bei einem Studium der Botanik oder der Festkörperphysik. Unser Fach ist keineswegs aus einem Guss. Forschungsinteressen und Praxisanforderungen driften immer weiter auseinander; und die Grundlagenfächer selbst unterscheiden sich in ihren Denkansätzen erheblich und haben ihre je eigene Begriffswelt entwickelt, die oft nicht mehr erkennen lässt, wenn im nächsten Hörsaal in anderer Sprache von derselben Sache die Rede ist. Den Studierenden bleibt selbst überlassen, das alles zu einem zusammenhängenden Ganzen zu integrieren, womit aber nicht nur Anfangssemester überfordert sind.

Der hier vorgelegte Grundkurs versucht, in dieser Situation Hilfestellung zu leisten. Er beleuchtet die Entstehungsgeschichte der repräsentativen Problemstränge, macht die im Zuge der Spezialisierung längst unkenntlich gewordenen Querverbindungen wieder transparent und reflektiert Leitideen, die verstehen lassen, warum gewisse Fragen überhaupt aufgeworfen, andere aber ausgeblendet werden und warum dem je herrschenden Zeitgeist manche Theorien und Methoden so viel akzeptabler erscheinen als andere. Bei all dem verliert er nie das eigentliche Anliegen der Psychologie aus dem Auge – zu verstehen, wie menschliches Erleben und Verhalten als Ganzes funktioniert.

Das Buch verlangt keine fachspezifische Vorbildung, aber es stellt Anforderungen an Interesse und Engagement. Es richtet sich an Leser, die in das Gebiet der Psychologie ernsthaft eindringen und sich mit seiner Problematik auseinandersetzen wollen. Die wirklich substantiellen Themen werden nicht nur an der Oberfläche gestreift, sondern kommen gründlich zur Sprache, wenn auch in oft ungewohnter Verbindung, gegliedert nicht nach dem üblichen Fächerkanon, sondern nach ihrer Tiefenstruktur.

Üblicherweise künden einführende Lehrbücher vom sogenannten «Mainstream». Eine ungeschriebene Regel gebietet dabei, die anerkannten Autoritäten zu referieren, aber nicht zu kritisieren. Anfangssemester sollen erst einmal einen Wissensfundus erwerben, über den die Majorität der Fachvertreter momentan nicht zu streiten übereingekommen ist. Was aber, wenn der Mainstream selbst eine Besinnung nötig hat? Käme es hier nicht darauf an, die Studierenden möglichst früh zu selbstständigem Denken zu ermutigen? Das geht dann freilich nicht ohne die Bereitschaft, den mitgeteilten Lehrstoff auch kritisch zu hinterfragen.

Manche Entwicklungen in unserer Wissenschaft nimmt man mit Sorge zur Kenntnis, und es ist kein Grund ersichtlich, warum Studienanfänger das nicht wissen dürften. Unter ihnen sind die Fachvertreter von morgen; sie sollten rechtzeitig erkennen, dass noch manches der Verbesserung bedarf, und dass es ihrer Generation aufgegeben ist, dabei mitzuwirken.